Mittwoch, 22. Januar 2014

Psychologie in Netrunner - Teil 1 - Grundlagen

In einer kommenden Serie von Artikeln möchte ich über die Psychologie in Android Netrunner Spielen reden und den einen oder anderen Tipp geben, der euch helfen kann euer Spiel zu verbessern. 

Ich werde mit einigen Grundlagen anfangen, Bezug nehmen auf Kartenspiele im Allgemeinen, Beispiele liefern und das ganze in der Komplexität so weit treiben wie ich es kann, sehe und verstehe. Ich glaube das gerade Einsteigern in das Spiel diese Grundlagen wirklich helfen werden, aber auch erfahrenere Spieler die eine oder andere Überlegung brauchbar finden. Mein Interesse besteht dabei ganz klar darin Möglichkeiten aufzuzeigen, um den Gegner zu analysieren und daraus Vorteile zu gewinnen sowie sein eigenes Spiel möglichst undurchschaubar zu gestalten.

Ich selber bin noch weit von diesem Ideal entfernt, aber man kann natürlich theoretische Überlegungen anstellen von denen sich viele in der Praxis bewährt haben.

Teil 1: Die Materialien und Grundlagen

Wir sitzen in einem Netrunner Spiel direkt gegenüber, meist nur durch 2 Spielmatten getrennt. Sämtliche Tokens befinden sich neben den Matten und R&D sowie Stack sind aufgetürmt und über 5 Handkarten starren sich beide Spieler an und mustern sich.

Wartet bitte bevor ihr den Blog schließt und es euch zu langweilig erscheint, denn in diesen ersten Minuten können wir schon eine Menge lernen. Viele Spieler sind am Anfang so sehr auf ihr Blatt konzentriert, dass sie total vergessen (oder sich dem nicht mal bewusst waren), dass sie bereits hier Informationen über ihren Gegner in Erfahrung bringen können, die später nützlich sein kann. Jeder Mensch verfügt über eine Art autonome Mimik, die in emotionalen Momenten oder unter Stress auftritt. Dazu kann man die Anspannung in einem Turnier sicherlich zählen. 

Schaut euch dazu einfach mal direkt beim Kartenziehen das Gesicht eures Gegners an, er wird im Idealfall dabei in seine Karte gucken. Wie bewegt sich sein Mund, seine Augen. verzieht er leicht den Mund? versucht euch diesen Ausdruck einzuprägen, besonders, wenn er sich entscheidet einen Mulligan zu nehmen. Bei einigen Menschen kann man hier sehen, ob sie ein gutes oder ein schlechtes Blatt haben (ich sage mal Blatt, weil Starthandkarten etwas lang ist).

Manchmal könnt ihr später im Spiel die gleiche Mimik bei weiteren Carddraws erkennen, ganz besonders in Situationen, in denen es eng wird wie die verzweifelte Suche nach einer speziellen Agenda oder Operation oder ICE.

Im Gegenzug zu klassischen Kartenspielen könnt ihr natürlich nicht so leicht erraten was er nun auf der Hand hat, aber es gibt euch einen ersten Eindruck bezüglich seiner Wertung.

Beobachtet danach wie euer Gegner seine Credits anordnet und wie lange bleibt er dabei? Es gibt Spieler, die gerne hübsche Häufchen machen, einige stapeln Credits ganz exakt aufeinander. Verändert sich dieses Verhalten nach Schlüsselszenen (z.B. wenn ihnen eine Agenda gestohlen wurde), beginnt er unbewusst mit Tokens herumzuspielen? ich habe das bei einem Jinteki Spieler erlebt, der stets wenn er IAA (install - advance -advance) spielte anfing mit der Hand einen Credit zu drehen. Allerdings hat er das nur gemacht, wenn er eine Agenda gespielt hat, es war auch nicht gleich danach zu erkennen, es fing dann im Zug des Runners an, als ich seine Remotes musterte. Er hat etwas getrunken und mit diesem Credit herumgespielt. Ich startete einen Run exakt auf diesen Server und hatte eine Agenda. Das klappte in 4 Fällen. ich habe es ihm nach dem Spiel gesagt und er meinte das wäre ihm gar nicht aufgefallen. Zwischenzeitlich passiert ihm das noch, aber nicht mehr immer! So einen Idealfall hat man natürlich selten. ändert aber ein Spieler ein Verhalten mitten im Spiel hat das meist einen Grund und das ist Anspannung. Er steht also vor einer schweren Entscheidung. 

Je länger jemand in seine Karten schaut desto stärker ist seine Hand tendenziell. Diese Einsicht kennt man bereits aus Pokerspielen. Bei Netrunner ist der Begriff einer starken Hand natürlich schwerer zu fassen. Bei einem Konzern ist das sehr situationsabhängig. Ist es die Economy, die er braucht, ist es ein Astroscript, was er unbedingt durchbekommen will oder doch eher eine andere Überlegung. Das könnt ihr meist nicht wissen. Ihr könnt aber sehr wohl sehen wo er hinschaut.

Schaut er ganz lange in sein Blatt ist es eine taktische Entscheidung. Schaut er eher zu euch, eurem Rig und auf seine Server ist es eine akute Entscheidung. 

Der Unterschied in meinen Augen ist folgender:

Taktische Entscheidungen sind Pläne die über einige Runden gehen können. Der Konzern überlegt, wann er seine Economy spielt, dann vielleicht einen Jackson installiert und in den Remote eine Agenda spielt, die er dann in der nächsten Runde scoren will. Allerdings hat er auch noch ein Ice auf der Hand und weiß, dass der Runner z.B. auch auf das R&D rennen kann. Was soll er nun machen? Wenn er lange ist seine Karten guckt wird er eher Überlegen was sinnvoller ist.

Akute Entscheidungen sind eine Art Reaktionen oder Aktionen, die noch stärker mit euch verknüpft ist. Er schaut sich euer Rig noch mal an, zählt eure Credits, schaut wieder in seine Karten, schaut zu seinen Credits. Er überlegt vielleicht ob er einen Trace gewinnen kann, oder er erwartet einen Run und rechnet aus, ob ihr durchkommt. Wenn er dabei noch ICE hochhebt und schaut was das kostet ist das schon sehr wahrscheinlich. Wandert sein Blick aber nicht so oft zu seinem nicht gerezzten ICE ist es vielleicht wirklich eher eine Überlegung in Bezug auf traces und/ oder Operationen. Spielt er Weyland ist es vielleicht eine Sea Source, ist es NBN vielleicht ein anderer Trace oder eine Midseason. ist es Jinteki wird es wohl eher eine Kostenüberlegung sein, ob das Geld noch für eine Snare reicht, einen neural EMP und vielleicht, um ein Upgrade zu rezzen.

Wunderbar und bedauerlicher zu gleich ist es, dass Netrunner unglaublich komplex ist. Man hat selten die Möglichkeit seinen Gegner so konkret zu analysieren, dass ihr eine bestimmte Spielweise erkennen könnt, aber mit diesen ersten paar Dingen kann man schon viel anfangen. Wie sehen wir später genau.


Zusammenfassung:

- beobachtet euren Gegner beim ersten Kartenziehen, könnt ihr eine bestimmte, leichte Mimik erkennen, insbesondere bei einem Mulligan?
- fängt er auf einmal an Nervositätsanzeichen zu entwickeln? Spielen mit Tokens, häufiges Trinken, Flippen von Karten?
- Wo schaut er bei seinem Zug hin? Schaut er lange in seine Karten muss er viel planen, schaut er eher auf das Spielfeld, seine und eure Credits, aber nicht auf das ICE berechnet er möglicherweise eher Kosten für Operationen und Traces schaut er auf das ICE geht es eher um Runs.

Teil 2: Die Handkarten

Jetzt hat unser Gegner seine Karten auf der Hand und spielt diese und zieht wiederum welche nach. Steckt er diese an ganz bestimmte Positionen, mischt er seine Karten stets?

Wenn der Konzern Karten zieht und seine Hand nicht mischt habt ihr es manchmal leicht ihn auszuspielen. Merkt euch einfach wo er die Karte hinsteckt und zieht sie vielleicht, wenn ihr es nicht schafft auf das R&D zu rennen. Spielt ihr z.B. Indexing, kommt aber danach nicht noch mal durch, weil euer Plan durch irgendetwas vereitelt wurde und der Kon die Karte zieht schaut euch an wo er sie hinsteckt. Nur bitte nicht zu auffällig. Ich sehe immer noch Spieler, die das vergessen. Auch wenn das keine Agenda ist kann es euch wichtige Hinweise geben. Wo ist das ICE, ist das nur ein Asset etc.

Der Konzern sollte zudem folgendes beachten. Wenn der Runner Karten von eurem HQ zieht, mischt euer Deck und fächert es nach unten aus, damit ihr auch nicht wisst wo eure Karten liegen. Haltet ihm nicht eure Hand hin und schaut dann reflexartig auf eure Agenda. Ich habe schon so viele Agendas gezogen, weil der Konzern dann genau auf die Karte geguckt hat, auch, wenn es nur ganz kurz war. Wenn ihr das so macht, dann macht es richtig und schaut auf eine andere Karte, um den Runner abzulenken oder schaut ihm direkt in die Augen.

Ihr als Konzern habt so viel mehr zu verlieren, wenn ihr euer Verhalten mit eurer Hand nicht kontrolliert. 


Zusammenfassung:

- Mischt eure Handkarten regelmäßig
- schaut nicht auf eure Agendas, wenn der Runner zugreift
- schaut auf eure Snare!
- fächert die Karten verdeckt nach unten aus, damit der Runner keinen Anhaltspunkt hat.
- Steckt gezogene Karten nicht immer an die gleiche Stelle, vor allem nicht, wenn der      Runner vorher weiß, welche Karte das ist


Teil 3: Die Kommunikation

Wir spielen nun eine Weile und da unterhält man sich bei freundschaftlichen Spielen ja auch, bei Turnierspielen geht es um das Spiel. Lasst euch also nicht von eurem Gegner ablenken, einige reden, scherzen ganz gerne, machen das aber auch, um eure Konzentration zu stören. Einige überspielen damit auch die eigene Nervosität, aber nerven kann es schon. Ich hatte ganz wenige Spiele, in denen es mich sehr gestört hat, aber ihr solltet versuchen abzuschalten. ich möchte das auch nicht als gängige Taktik proklamieren, da ich es überhaupt nicht leiden kann und auch als unfaire Spielweise einordnen würde. Dennoch kann man auch hier erkennen wie nervös der Gegner ist. Die die von Anfang an viel reden und dann aufhören sind meist sehr gestresst und konzentriert. Dann sind sie sich ihrer Sache nicht ganz sicher oder spielen auf Risiko. 

Ich selber sage immer was ich mache. Also z.B. Ich klicke einmal mit Professional Contacts, Run auf R&D, Click für Magnum, spiele Diesel. Dieses mantrahafte Reden sollte man eh machen, außerdem kann es den Gegner auch vorgaukeln, dass man alles im Griff hat und nicht unsicher ist. Auf jeden Fall zu vermeiden sind aussagen wie " was mach ich denn jetzt", oder "Hmm, das ist ja blöd" etc. Es sei denn ihr macht das natürlich absichtlich. Bleibt ihr aber ruhig und gelassen, auch wenn es mal nicht so gut läuft ist das viel bedrohlicher, als wenn ihr völlig die Contenance verliert. Ihr müsst euch unter Kontrolle haben und nicht durch Verhaltensmuster dem Gegner in die Hand spielen.

Eine für das Spiel relevante Situation kann sich aber beim Ausspielen von Fallen ergeben:

Nehmen wir an ihr habt einen Junebug in einen Remote mit 2 ungerezztem ICE gespielt und ihn 2x advanced (IAA) und der Runner läuft auf diesen Server (wie ich ihn dazu bekomme erkläre ich später) ist es denkbar schlecht ihm gleich zu sagen "Ich rezze kein ICE!". Das dürft ihr nur dann machen, wenn ihr keinen Matchpoint habt und / oder so abgebrüht seid, dass ihr euren Gegner durch diese Ansage wirklich abschrecken wollt wirklich zuzugreifen, weil ihr eine Agenda gespielt habt und glaubt der Runner bricht den Run ab, wenn ihr ihn scheinbar so locker durchlasst (dann sollte der Runner aber vielleicht schon ein ICE kennen, später mehr dazu).

An dieser Stelle kann ich euch nur den hervorragenden Artikel von Sebastian Barth (Sir Prim), dem deutschen Netrunner Meister 2013 empfehlen über Matchpoints und Rush Decks: Boardgamegeek - Matchpoint theory

Soll er in den Junebug laufen schaut ihr euch in Ruhe euer ICE an, eure und seine Credits, verzieht leicht den Mund, vielleicht rezzt ihr auch ein billiges ICE, aber der Runner soll noch durchkommen. Dann könnt ihr sowas fallen lassen wie "Naja, dann sollst du wenigstens noch etwas Geld verlieren!". Das nächste rezzt ihr nicht, schüttelt dabei aber zerknirscht den Kopf und fragt noch mal mit leicht resignierter Stimmlage ob er zugreifen möchte. Grinsen dürft ihr, wenn er zugreift, nicht vorher! Das sind natürlich Grundlagen, aber vielleicht ertappt sich der eine oder andere dabei es doch anders zu machen.



Ein anderer Fall aus Konzernsicht könnte ein Weyland Spieler sein, der einfach mal zwischendurch seine Credits zählt, die des Runners und dann noch nach der Anzahl der Handkarten fragt und das alles, obwohl man keine einzige Sea Source oder Scorched Earth auf der Hand hat. Manchmal funktioniert das, um den Runner etwas zu verunsichern. Wenn ihr dadurch eine Runde gewinnt ist das super. Er holt sich vielleicht erst mal dann Geld oder zieht seine Handkarten hoch und alles durch einen einfachen Satz! Wunderbar. 

Zusammenfassung:

- labert euren Gegner nicht voll
- beeinflusst ihn subtil durch gut platzierte Fragen
- variiert euer Verhalten


Zwischenfazit:

Ihr seht also, man kann bereits an den ganzen äußeren Umständen viel über seinen Gegner lernen. Ich möchte das nicht als den wichtigsten Aspekt des Spiels definieren, aber es kann euch nur helfen und euch zu einem noch besseren Spieler machen. Wenn ihr aber nichts Gescheites zieht oder der andere einfach einen Traumstart hinlegt hilft es euch natürlich auch nichts, wenn er vor Freude mit Credits wirft. Ein guter Spieler wird aber versuchen euch durch sein Verhalten nicht zu viel zu verraten und euch im sogar subtil beeinflussen.

Wenn ihr die Gelegenheit habt zwischendurch gegen die gleichen Leute zu spielen versucht doch einfach mal genau hinzuschauen und Verhaltensmuster zu erkennen. Spaß machen wird es definitiv. Wenn ihr es auf die Spitze treiben wollt gestaltet doch mal einen Netrunner Casino Abend. Ein Tisch, Spotlight, ein paar Drinks und Anzüge und eine Art Währung für gewonnene Spiele, z.B. Promo Karten oder einfach nur Süßkram. Gestaltet es spannend, um die Grundanspannung zu erhöhen.

Im nächsten Teil werde ich mich mit konkreten Spielsituationen beschäftigen und Tipps geben wie ihr den anderen Spieler möglicherweise etwas lenken könnt.

Keep running!


Bildquellen: 
http://th02.deviantart.net/fs71/PRE/i/2013/050/c/9/android_netrunner_by_kate_niemczyk-d5viwem.jpg
http://25.media.tumblr.com/tumblr_m94y4e8wgh1qd80v3o3_1280.jpg

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